GRÜNES LICHT FÜR OPEN SKIES

Hörfunkbeitrag in der Reihe 'Streitkräfte und Strategien
NDR 4, 11. August 2001

Hartwig Spitzer
Universität Hamburg
Arbeitsgruppe für Naturwissenschaft und Internationale Sicherheit (CENSIS)

Diesmal haben die Optimisten Recht behalten. Vor drei Monaten haben beide Kammern des russischen Parlaments den Vertrag über den offenen Himmel, kurz Open Skies, ratifiziert. Das weißrussische Parlament hat sich dem angeschlossen. Damit sind die beiden letzten offenen Ratifizierungsverfahren abgeschlossen. Der Vertrag kann nun - wenn die Urkunden wie erwartet im November hinterlegt werden - Anfang nächsten Jahres in Kraft treten.

Der am 24. März 1992 unterzeichnete Open-Skies Vertrag erlaubt gemeinsame sogenannte Bildüberflüge - "von Vancouver bis Wladiwostok". Die Vertrags-Staaten haben ihr ganzes Territorium dafür geöffnet, auch bisher streng geheime Testgebiete. Im Gegensatz zum Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) sind die weiten Gebiete Nordamerikas und Sibiriens ebenfalls für gegenseitige Inspektionen aus der Luft zugänglich. Unterzeichner-Staaten sind die neunzehn NATO-Staaten sowie Russland, die Ukraine, Weißrußland, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Georgien und Kirgisien.
Das Ziel des Vertrages sind die militärische und sicherheitspolitische Vertrauensbildung sowie die Unterstützung bei der Überprüfung von Abkommen. Der Vertrag läßt auch Einsätze im Rahmen des Umweltschutzes und bei Katastrophen zu. Kein anderes Rüstungskontrollabkommen hat eine vergleichbar starke vertrauensbildende Wirkung. Die Flugmissionen werden kooperativ, d.h. von gemeinsamen Teams der beteiligten Staaten vorbereitet und durchgeführt. Die aufgenommenen Bilddaten stehen anschließend allen Mitgliedsstaaten zur Verfügung, im krassen Gegensatz zur militärischen Satellitenaufklärung. Der Vertrag ermöglicht so eine Rüstungskontrollkultur auf hohem Niveau. Offenheit und Transparenz auf Regierungsebene werden gestärkt. Das hat sich bereits bei dem nunmehr neunjährigen Probelauf gezeigt.

Die russische Duma hat sich erst nach langem Zögern zur Ratifizierung entschlossen. Einer der Gründe war der Widerstand gegen die NATO-Osterweiterung. Inzwischen hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Open-Skies Vertrag Russland die Möglichkeit bietet, das Militärpotenzial der neuen NATO-Mitglieder und andere sensiblen Gebieten aus nächster Nähe zu beobachten.
Denn die Aufklärung durch Satelliten gestaltet sich für Moskau immer schwieriger. Grund ist der chronische Geldmangel. Mindestens 75 Prozent der russischen Militär- und Kommunikations- Satelliten sind nach Ansicht des Generaldirektors der russischen Weltraumbehörde, Yuri Koptev, veraltet und können nicht mehr genutzt werden. Mittlerweile startet Rußland nur noch alle zwei Jahre einen eigenen Satelliten. In früheren Jahren waren es jährlich drei bis vier.
Vor diesem Hintergrund sind Open-Skies-Flüge vergleichsweise preiswert. Im Gegensatz zu Satelliten können Open-Skies-Flugzeuge Wolken bis zu einer Höhe von etwa 1500 Metern unterfliegen und so auch bei bewölktem Himmel fotografieren. Die bei Open-Skies zugelassene Auflösung der Schwarz-Weiß Bilder von dreißig Zentimetern kann es mit dem Auflösungsvermögen der meisten militärischen Aufklärungssatelliten aufnehmen.

[Russland hat bisher von den bilateralen Open-Skies-Probeflügen geschickt Gebrauch gemacht. So hat ein russisches Flugzeug im Juni 1999 US-Stützpunkte in Deutschland fotografiert - während der Bereitstellung des amerikanischen Kosovo-Kontingents. Einen Monat zuvor hatte sich Rußland bereits durch zwei Inspektionen nach dem Wiener Dokument in Albanien und Mazedonien ein Lagebild verschafft sowie KSE-Inspektionen in Italien auf der Luftwaffenbasis Aviano durchgeführt. Hier wurden also drei Verträge zur Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung kombiniert genutzt. Ein ähnliches Vorgehen steht natürlich allen Mitgliedsstaaten offen.]
Deutschland hat bei den Probeflügen bisher eine besonders aktive Rolle gespielt. Über ein Drittel der ca. dreihundert Testflüge fanden mit deutscher Beteiligung statt. Dabei nahmen die deutschen Flüge über Sibirien eine Spitzenstellung ein. Beobachtet wurden die Vernichtung von konventionellen Waffensystemen aber auch Raketensilos. So konnte beispielsweise die Überprüfung von Abrüstungsmaßnahmen nach dem KSE-Vertrag unterstützt werden.

Insgesamt hat die bisherige Testpraxis die Nützlichkeit des Vertragswerks untermauert. Auch kleinere Staaten wie Bulgarien, setzten ihre Ressourcen geschickt ein, und konnten damit auch für andere Länder mit ihren Kontrollflügen wichtige Beiträge leisten.

Nach Ende des Ost-West-Konfliktes hat sich die sicherheitspolitische Landschaft verändert. Der Open-Skies Vertrag kann aber auch unter den neuen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen. Und zwar in drei Zielrichtungen:

Er kann erstens die Vertrauensbildung und Prävention in Krisenregionen des Vertragsgebiets verbessern: So könnte das Abkommen beispielsweise dabei helfen, das Verhältnis zwischen NATO und Russland zu entkrampfen, aber auch zur Entspannung der Beziehungen zwischen Moskau und den baltischen Staaten beitragen. Im Kaukasus wäre bei einer aktiven Beteiligung Georgiens Krisenprävention denkbar.
Zum zweiten hat sich der Open-Skies Vertrag für zahlreiche Staaten als Magnet erwiesen. Finnland, Schweden, die baltischen Staaten und Slowenien - die bisher nicht zu den Unterzeichnern des Vertrages gehören - haben sich freiwillig an Probeflügen mit Vertragspartnern beteiligt. Es ist damit zu rechnen, dass nach Inkrafttreten des Vertrages diese Länder sowie Kroatien und Österreich der Vereinbarung ebenfalls beitreten.[ Etwas ungewisser ist die Position von Jugoslawien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Albanien. Sie sind Mitglieder der OSZE und Unterzeichner des Wiener Dokuments über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen. Der Versuch, ein gesondertes Luftinspektionssystem auf dem Balkan einzurichten ist vorerst gescheitert. Das war ursprünglich in den Rüstungskontrollverhandlungen für den Balkan nach Artikel V des Anhanges zum Dayton-Abkommen vorgeschlagen worden. Lediglich in Bosnien-Herzegowina wurde ein bescheidenes Luftinspektionssystem vereinbart, das den Einsatz von Videokameras auf Hubschraubern vorsieht. Ein Beitritt weiterer Balkanstaaten zum multilateralen Open-Skies Vertrag ist aber möglich und würde zu Stabilisierung der Region beitragen.]

Drittens eignet sich die Open-Skies Idee gut als vertrauensbildende Maßnahme in anderen Krisengebieten der Welt. Insbesondere dort, wo sich hochgerüstete Armeen einander gegenüberstehen. Die USA haben bereits ihr Open-Skies Flugzeug in Südamerika und Japan vorgeführt, um entsprechende Überlegungen anzuregen.

Deutschland spielte bis vor kurzem eine wichtige Rolle bei den Luftmissionen. Im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr entstand ein kompetentes, hochmotiviertes Open-Skies Team. Zudem wurde eine Tupolew 154 M mit modernster Kamera-Technik ausgerüstet. Die Maschine ging jedoch im September 1997 bei einem tragischen Zusammenstoß über dem Südatlantik verloren. Weder der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe noch sein Nachfolger Rudolf Scharping konnten sich zu einer Ersatzbeschaffung entschließen. Ein seltsam bekanntes Bild: Für Kampfflugzeuge und andere Waffensysteme werden Milliarden bereitgestellt, für ein Flugzeug zur Konfliktprävention und Vertrauensbildung werden die benötigten ca.50 Millionen Mark verweigert. [In dieses Bild passt, dass der Verteidigungsminister dann auch die Kapazitäten für die konzeptionelle Weiterentwicklung von Rüstungskontrolle und vorbeugender Vertrauensbildung im Führungsstab III seines Ministeriums drastisch gekürzt hat.]
So wird Deutschland nach Inkraftreten des Vertrages auf die sogenannte Taxi-Option ausweichen müssen. D.h. es wird Flugzeuge von Partnerländern anmieten. In der Regel ältere Maschinen russischer Bauart vom Typ Antonov 30. Ihre Reichweite beträgt lediglich ca. 1500 Kilometer. Russland, die Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Tschechien und Ungarn verfügen über solche Maschinen. Bei den westeuropäischen Open-Skies-Flugzeugen sieht es nur wenig besser aus. Bundestag und Verteidigungsministerium sind daher aufgerufen, sich für die Realisierung von gemeinsam genutzten modernen Open-Skies Flugzeugen auf europäischer Basis zu engagieren. Diese Investition in einen offenen Himmel über Europa wird sich langfristig auszahlen.