Schlußwort an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Vorlesung
Kern- und Teilchenphysik (Einführung in die Struktur der Materie),
Universität Hamburg, FB Physik, 13. Juli 2001
Hartwig Spitzer
Universität Hamburg
Arbeitsgruppe für Naturwissenschaft und Internationale Sicherheit (CENSIS)
1. Cultural diversity
I gave most of this lecture in English, because English is the world language of science. There is a trend that English is becoming the leading language in many other areas, too. On the Internet, in business, in entertainment.
Languages are part of cultural diversity. Cultural diversity is like biodiversity. It can be depleted and never come back.
Daher wechsle ich jetzt zum Deutschen, meiner und Ihrer Muttersprache.
2. Perspektiven in der Physik
Was haben wir gelernt aus der Begegnung mit der Kern- und Teilchenphysik?
Was sind die Perspektiven
- für die Physik als Forschungsgebiet,
- für Sie, wenn Sie sich auf die Physik weiter einlassen?
Die Physik ist voll von spannenden Forschungsfragen an den Erkenntnisgrenzen von Raum, Zeit und Materie: in der Astrophysik, in der Teilchenphysik, in der Festkörperphysik und anderen Teilgebieten.
Daher hat die Physik Zukunft; und Sie haben Zukunft, weil Sie - verglichen mit anderen Disziplinen - eine überdurchschnittlich tiefe und systematische Ausbildung bekommen.
Sie lernen systematisches Messen und Experimentieren.
Sie lernen zu abstrahieren und gleichzeitig Modelle für konkrete physikalische Situationen zu entwickeln.
Sie lernen selbständig und im Team zu arbeiten
Aber Sie sind in Konkurrenz mit anderen Leitwissenschaften,
den Biowissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften.
Die Biowissenschaften sind der Entstehung des Lebens und der
Manipulation von Leben auf der Spur.
Die Wirtschaftswissenschaften liefern den methodischen Hintergrund
für das heute herrschende Paradigma des schnellen Geldes.
Aber weder die Jagd nach dem schnellen Geld noch ein rein technischer
Umgang mit Leben sind langfristig zukunftsfähig oder nachhaltig. Wissenschaft
führt auf Widersprüche mit dem Leben.
3. Wissenschaft führt auf Widersprüche mit dem Leben
Auf welche Widersprüche lassen wir uns ein, wenn wir Physik machen?
Die Arbeit in der Physik hat viel mit Macht und Machen
zu tun:
Sie gibt uns Erklärungsmacht und Definitionsgewalt. Wir bestimmen die Begriffe und Kriterien. Wir entscheiden, was naturwissenschaftlich korrekt ist.
Physik gibt uns Macht über Apparate und Maschinen.
Macht an sich ist weder gut noch böse. Aber sie braucht Gegengewichte,
um Mißbrauch zu verhindern; innere Gegengewichte wie eine klare Wertorientierung
und äußere Gegengewichte ("checks and balances").
Die Physik hat außerdem eine starke Verführungskraft.
Sie vermag es, die meisten von uns - spätestens mit dem Eintritt in
die aktive Forschung - durch die Faszination der Entdeckung zu faszinieren,
die Faszination des Entdeckers und der Entdeckerin, die Neuland betreten.
Dabei können wir schnell in die Situation der Physiker von Los Alamos
(1942-45) kommen, in der wir mit Begeisterung etwas entwickeln, was gefährlich
ist und dessen Anwendung unserer Kontrolle entgleitet. Denn nach den Entdeckern
kommen sehr schnell die Leute mit der politischen und wirtschaftlichen
Macht.
Die Physik zwingt uns also politisch zu denken und zu handeln, d.h.
uns einzumischen in die Entscheidungsprozesse über Anwendungen. Die
moderne, wirkungsmächtige Physik nötigt uns politisch zu werden,
obwohl die meisten, die Physik als Fach gewählt haben, ursprünglich
ganz andere Wünsche und Ziele hatten. Das "Einmischen in die eigenen
Angelegenheiten" (W. Biermann) kann sogar Spaß machen, wenn Sie es
zum richtigen Zeitpunkt und gemeinsam mit den richtigen Leuten machen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin eine erfolgreiche, faszinierende und politische Begegnung mit der Physik.