Energie, Klima und nachhaltige Landwirtschaft

Kurzessay zum Projekt Globale Zukunftsfragen, 4.7.2002

www.Globale-Zukunft.de

Hartwig Spitzer
Universität Hamburg
Arbeitsgruppe für Naturwissenschaft und Internationale Sicherheit (CENSIS)

Bei Nachhaltigkeit geht es um langfristige, dauerhafte Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben auf der Erde im Einklang mit der Natur. Wie viele Menschen wird die Erde in hundert, in tausend, in zehntausend Jahren ernähren können, einigermaßen menschenwürdig ohne Raubbau an Böden und Artenvielfalt, in einer Zeit, wo das billige Öl längst versiegt sein wird?
Fünfhundert Millionen, sagt der eine, soviel wie mit der vorindustriellen Landwirtschaft ernährt werden konnten. Zwanzig Milliarden sagt die andere, aber nur wenn wir alle Vegetarier werden.
Viele sagen, der Zeithorizont ist mir zu lang. Was betrifft mich das ? Immerhin könnte es Ihre Enkel betreffen. Außerdem: jeder und jede von uns machen selbstverständlich von dem Kulturerbe von zehntausend Jahren Landwirtschaft Gebrauch und von dem Wissen über Heilpflanzen, das afrikanische Jäger und Sammler in 150 000 Jahren gewonnen haben. "Man kann nur so weit nach vorne denken wie man zurück denken kann."

Die Frage liefert ein schönes Beispiel dafür, wie beim Thema Nachhaltigkeit verschiedene Disziplinen ineinander greifen. Die Landwirtschaft konnte sich auf der Erde überhaupt erst entwickeln, weil seit Ende der letzten Eiszeit die mittleren Temperaturen regional erstaunlich konstant geblieben sind. Sie schwankten um nicht mehr als ein bis zwei Grad. Das sagen uns die Experten für Klimageschichte, ohne wirklich erklären zu können, warum die Temperatur so konstant blieb. Da besteht Forschungsbedarf. Eines ist aber aus der modernen Klimaforschung deutlich geworden. Die Menschheit und insbesondere der wohlhabendere Teil der Menschheit wird in den nächsten hundert bis zweihundert Jahren durch die hastige Verbrennung von fossilen Energieträgern das Weltklima verändern. Noch ist offen, ob die Erwärmung ein, zwei oder fünf Grad betragen wird. Aber sicher ist, dass die Wahrscheinlichkeit von extremen Wetterlagen und von Risiken für die Landwirtschaft wachsen wird.
Die heutige Landwirtschaft und Ernährungsweise wird auch durch das bevorstehende Ende des Ölzeitalters vor neue Herausforderungen gestellt. Heute basieren Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie wesentlich auf der Verfügbarkeit von billigem Öl. 95% des Energieaufwandes, der in einem Joghurtbecher auf dem Frühstückstisch steckt, kommt aus fossilen Energien, nur 5 % aus der Sonne. „Wir - im globalen Norden - essen Öl.“ Nicht besonders nachhaltig.
Dabei wird deutlich, dass nachhaltiges Wirtschaften viel mit der Umwelt, mit der Verfügbarkeit von Ressourcen und mit Lebensgewohnheiten und Ansprüchen zu tun hat. Bleiben wir beim Thema Energie. Wie könnte eine nachhaltige Energiewirtschaft, die über Jahrhunderte und Jahrtausende trägt und nicht anderen Nachhaltigkeitszielen zuwiderläuft, aussehen? Schwer zu sagen, weil unsere Prognosefähigkeit für gesellschaftliche und technische Entwicklungen sehr begrenzt ist.
Sicher ist, dass die Nutzung von Solarenergie eine wesentlich größere Rolle spielen wird: Strom aus solarthermischen Spiegelkraftwerken in den Sonnengürteln der Erde (der über Tausende von Kilometern als Hochspannungsgleichstrom übertragen werden kann), Windenergie aus Standorten im Meer vor den Küsten, solar optimierte Passivhäuser, die ohne Heizanlage auskommen. Aber das wird nicht ganz billig. Sonnenenergie kommt wesentlich weniger konzentriert daher als die bereits hochkonzentrierten fossilen Energieträger. Solarstrom aus Wind und Sonne (solarthermisch) hat heute 2-3 mal höhere Erzeugungskosten als Strom aus Kohle oder Gas. Hier werden sich die Märkte weltweit erst bewegen, wenn Öl und Gas knapper und teurer werden.
Ein Passivhaus lässt sich dagegen heute – bei entsprechendem Know How und Willen – bereits zu ähnlichen Kosten wie ein konventionelles Haus bauen. Der Bau eines Universitätsgebäudes in Passivhausbauweise wäre ein schönes Beispiel, an dem der Bauherr seine Exzellenz und seine Zukunftsorientierung beweisen könnte.

Diese Beispiele zeigen, wie schwierig der Weg zu mehr Nachhaltigkeit sein wird und welche Widerstände sich auftun: Kurzfristdenken und Ressortdenken von Politikern (Wahlperiode) und Börsen (Bilanzzeitraum), Vorfahrt der betriebswirtschaftlichen Optimierung vor der volkswirtschaftlichen. WTO besiegt Rio. Der Wirtschaftsminister überstimmt den Umweltminister. Und schließlich: Wie verhält es sich mit unserem Anspruchsdenken und lieben, alten Gewohnheiten? Ist der Mensch wirklich ein unersättliches Wesen, wie viele Ökonomen annehmen? Können globalisierte Märkte die entscheidenden sozialen und ökologischen Probleme lösen? Mehr Fragen als Antworten. Das Lehrprojekt Globale Zukunftsfragen lässt sich darauf ein.